Chasma-Bucht, Russland
Unfall eines Atom-U-Bootes
Im August 1985 kam es durch eine Explosion auf einem sowjetischen Atom-U-Boot in der Chasma-Bucht zur massiven Freisetzung von Radioaktivität. Mehr als 290 Menschen wurden radioaktiv verstrahlt, das Meer und das umliegende Terrain nachhaltig verseucht. Der Atomunfall wurde über viele Jahre geheim gehalten. Zudem wurde das umliegende Meer durch langjährige Verkippung von Atommüll großflächig verseucht. Das Ausmaß der Folgen für Umwelt und Gesundheit wird vermutlich niemals in vollem Umfang aufgeklärt werden.
Hintergrund
Der sowjetische Marinestützpunkt in der Chasma-Bucht nahe Wladiwostok wurde im Kalten Krieg als Staatsgeheimnis behandelt. Am Morgen des 10. August 1985 hatten Arbeiter dort gerade den Reaktor des Atom-U-Boots K-431 geöffnet, als die Welle eines vorbeifahrenden Torpedoboots das Schiff erfasste. Sämtliche Brennstäbe verrutschten und die so entstandene kritische Masse führte zu einer spontanen Kettenreaktion. Eine gewaltige Explosion riss die 12 Tonnen schwere Reaktorabdeckung sowie die Reaktorbrennelemente ab und zerstörte den Druckkörper des U-Boots. Das auf die Explosion folgende Feuer setzte etwa sieben Stunden lang radioaktive Isotope wie Jod-131, Cobalt-60 und Mangan-54 frei. Die radioaktive Wolke stieg bis zu 50 m hoch und wurde nach Nordwesten geweht, wo radioaktiver Niederschlag über der Dunai-Halbinsel eine kontaminierte Schneise von 3,5 Kilometern Länge und bis zu 650 m Breite hinterließ. Gleichzeitig wurde der Meeresboden und Teile des angrenzenden Hafens mit Cobalt-60 kontaminiert. Ähnliche Unfälle auf russischen Atom-U-Booten wurden 1965, 1968 und 1980 aus Sewerodwinsk sowie 1970 aus Nischni Nowgorod gemeldet, wo sich während des Baus eines U-Boot-Atomreaktors eine nukleare Kettenreaktion ereignete. Der Unfall in der Chasma-Bucht wurde bis 1993 erfolgreich geheim gehalten.
Folgen für Umwelt und Gesundheit
Als unmittelbare Folge der Explosion starben zehn Menschen. Die reine Gamma-Strahlung erreichte fünf Millisievert pro Stunde (also etwa das 16.000-fache der natürlichen Hintergrundstrahlung von 0,0003 mSv/h). Der Rest der Strahlung wurde in Form von radioaktiven Partikeln mit einer Gesamtaktivität von 259 PBq (Peta = Billiarde) freigesetzt. Diese Form von Strahlung kann für Menschen vor allem gefährlich werden, wenn sie mit der Nahrung eingenommen oder mit der Luft eingeatmet werden. Für die Bevölkerung besonders relevant war die Freisetzung von 29 GBq Jod-131 (Giga = Milliarde), einem Radioisotop, das bekanntermaßen zur Entstehung von Schilddrüsenkrebs führen kann. Da der Reaktor gerade erst frisch mit Brennstoff beladen wurde, waren Spaltprodukte wie Cäsium-137 und Strontium-90 noch nicht in großer Menge vorhanden.
Etwa 2.000 Arbeiter waren an den Notfall- und Dekontaminationsmaßnahmen beteiligt. Davon wurden laut sowjetischen Angaben 290 Strahlung von mehr als 50 mSv ausgesetzt; zehn litten an akuter Strahlenkrankheit. Feuerwehrleute im U-Boot erhielten die höchste Strahlenbelastung: bis zu 2,2 Sv externe Bestrahlung und bis zu vier Sievert Schilddrüsendosis. Bei solch hohen Strahlenwerten ist davon auszugehen, dass etwa 44 % der Arbeiter aufgrund des Unfalls eine Krebserkrankung entwickeln werden (die WHO rechnet mit etwa 0,2 zusätzlichen Krebserkrankungen pro einem Sievert Strahlenbelastung). 205 der Betroffenen erhielten im Jahr 1998 Zertifikate, die ihnen Leistungen zusprachen, wie sie auch den „Liquidatoren“ (Aufräumarbeitern) von Tschernobyl zustanden.
1985 lag die Gamma-Strahlung in 80 % aller Bodenproben der Chasma-Bucht höher als 0,6 mSv/h, also etwa 2.000 Mal höher als die natürliche Hintergrundstrahlung. Noch Ende der 1990er Jahre fanden sich sogar an einigen „Hotspots“ in der Bucht Strahlenwerte von bis zu 60 mSv/h. Dieser Wert entspricht in etwa der Strahlenbelastung von 3.000 Röntgenuntersuchungen pro Stunde. Da sich Cobalt-60 mittlerweile auch in die angrenzende Strelok-Bucht verteilt, sinkt seine Konzentration in der Chasma-Bucht kontinuierlich, während sich die kontaminierte Fläche ständig vergrößert.
Ausblick
Das havarierte Atom-U-Boot K-431 stellt bis heute eine Quelle radioaktiver Verseuchung dar. Vor allem Cobalt-60 spielt dabei eine relevante Rolle. Darüber hinaus wurden in der Umgebung der Marinebasis über viele Jahrzehnte mehrere veraltete oder defekte Atom-U-Boote versenkt sowie radioaktiver Müll und flüssige Strahlenabfälle verkippt, sodass in Sedimentproben auch große Mengen anderer radioaktiver Stoffe wie Cäsium-137 und Strontium-90 gemessen werden können. Die stark kontaminierte Dunai-Halbinsel weist zudem bis heute Strahlungswerte von bis zu acht Millisievert pro Stunde auf. Ferner kontaminiert kontinuierlicher Abfluss einer provisorischen Atommülldeponie das Meer östlich von Wladiwostok. Neben den Arbeitern und Marineangehörigen sind es vor allem die mehr als 30.000 Anwohner der nahe gelegenen Ortschaften Putjatin, Dunai und Fokino, die unter den langfristigen Folgen des Unfalls und der Atommüllkatastrophe leiden. Studien bezüglich der gesundheitlichen Auswirkungen der radioaktiven Verseuchung wurden bislang nicht durchgeführt. Wie viele Menschen von der Strahlung am Schluss betroffen sein werden, wird wohl nie bekannt werden. Dabei sind auch sie Hibakusha; auch ihre Gesundheit leidet unter der militärischen Nutzung der Atomenergie. Auch ihre Schicksale sollten nicht vergessen werden.
Quellen
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- Sivintsev et al. „Radioecological consequences of a radiation accident in a nuclear-powered submarine in Chazhma Cove.“ Atomic Energy, Vol.76, No. 2, 1994. http://link.springer.com/article/10.1007%2FBF02414364
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- Yablokov et al. „Facts and Problems Connected with the Disposal of Radioactive Waste in the Seas Adjacent to the territory of the Russian Federation“. Administration of the President of the Russian Federation, Moskau 1993.
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